Erfahrungsbericht zur Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz und Krakau

Für vier Lehrerinnen und Lehrer sowie für 16 Schülerinnen und Schüler begannen die Sommerferien in diesem Jahr etwas anders als sonst. Statt wie sonst üblich alle Schulsachen in die Ecke zu stellen und die Koffer für den Sommerurlaub zu packen, packten 16 Schüler und Schülerinnen aus den Klassen 10, 11 und 12, sowie Herr Fleischhauer, Herr Cebulski, Frau Elsner und Frau Handloike für eine intensive Gedenkstättenfahrt. Diese fand in der ersten Sommerferienwoche (17.07.–22.07.2022) in Polen statt und war inhaltlich vor allem an die Fachbereiche Geschichte und Geografie angelehnt. Bereits während des Schuljahres wurden wir Schülerinnen und Schüler von den begleitenden Lehrkräften auf die Fahrt vorbereitet, sodass wir alle wussten, was uns erwartet.

Am Sonntag, dem 17.07.2022 trafen wir uns 06:00 Uhr am Paradiesbahnhof, um unsere Reise anzutreten. Umsteigen mussten wir nur in Halle (Saale) und Berlin, sodass wir am späten Nachmittag Kattowitz erreichten. Von dort aus brachte uns ein Bus nach Oswiecim/Auschwitz, unserem Aufenthaltsort für die nächsten zwei Tage. Der Abend des Tages wurde dann genutzt, um die Stadt zu erkunden und sich Gedanken darüber zu machen, was einen in den nächsten Tagen alles erwarten sollte.

Am Montag stand am Vormittag die Besichtigung von Auschwitz I, dem Stammlager, auf dem Programm. Den ersten Teil hierbei bildete die Ausstellung in den Häftlingsblöcken des Lagers: Todesblock, Todeswand und die einzig erhalten gebliebene Gaskammer und ein Krematorium. Sehr schwer zu verkraften war hier vor allem der Anblick von hunderten Kinder- und Babyschuhen, deren Träger im Lager fast alle ihr Leben ließen. Bewegend fand ich auch den Gang durch das Tor mit der Aufschrift „ARBEIT MACHT FREI“. Am Nachmittag befassten wir uns dann in kleinen Grüppchen noch intensiver mit dem Überlebenskampf, den die Kinder im Lager führten. Bei diesem Workshop musste ich persönlich noch sehr viel mehr mit meinem Emotionen kämpfen als bei der Besichtigung der Häftlingsblöcke am Vormittag. Als besonders harten Tobak empfand ich die Berichte ehemaliger Häftlinge. Am Abend des Tages bestand dann die Möglichkeit, sich in einer kleinen Runde über das Gesehene, Empfundene und Erlebte auszutauschen. Generell gab es auf der Reise immer die Möglichkeit offen darüber zu kommunizieren, was man gerade erlebt oder durchlebt hat, so habe ich mich persönlich sehr gut aufgehoben und nicht überfordert gefühlt.

Der nächste Tag startete für uns auch wieder sehr früh, sodass wir bereits 09:15 Uhr mit der Besichtigung von Auschwitz II-Birkenau begannen. Gleich zu Beginn durchquerten wir das Torhaus, das weltweit als Symbol für die Verbrechen der Nationalsozialisten bekannt ist. Allein schon dieses Tor, welches ich nur aus Filmen und Geschichtsbüchern kannte, aus der Nähe zu sehen, ließ mich erschaudern. Nach der Durchquerung des Torhauses folgte eine Führung über das Gelände, die Besichtigung einer Baracke und der Besuch einer Ausstellung. Schaudern mussten ich und auch viele andere von uns, als wir durch die Räume liefen, welche die für das Lager aussortierten Häftlinge auch durchliefen („Kanada“). An den Türrahmen standen die Bezeichnungen der einzelnen Räume – auf Deutsch – meine, unsere Muttersprache. Ich hatte an diesem Punkt das Gefühl, als ob ich hier falsch wäre, ich schämte mich dafür, diese Aufschriften lesen zu können, ich schämte mich dafür Deutsche zu sein, denn im Namen des deutschen Volkes ermordeten Adolf Hitler und seine Anhänger allein in Auschwitz 1,1 Millionen Menschen.

Gegen 12 Uhr war die Führung durch das Lager zu Ende und mein Kopf war voll mit Gedanken und Informationen, ich hatte einen Sonnenbrand und war kaputt, doch der Tag war noch lange nicht zu Ende. Nach einer kleinen Mittagspause schloss sich ein Spaziergang durch die heutige Stadt Oswiecim (Auschwitz) an. Zusammen mit unserer Leiterin betrachteten wir die Stadt im Kontext der jüdischen Einwohner, erkundigten uns zur Stadtentstehungsgeschichte und besuchten die ehemalige Synagoge. Gegen 16:30 Uhr verabschiedeten wir uns dann von unserer Stadtführerin und auch von der Stadt Oswiecim und wurden mit einem Bus zu unserem Hotel nach Krakau gebracht. Nach einem traditionellen polnischen Abendessen fielen die meisten nach einem langen Tag erschöpft ins Bett.

Foto: Victoria Rüttger

Bei mir im Zimmer klingelte am nächsten Tag sechs Uhr der Wecker, denn meine Zimmergenossin war eine von denen, die früh morgens gemeinsam Sport machten. Während sie mit den anderen Sportbegeisterten aus unserer Reisegruppe Frühsport machte, schlief ich noch eine Stunde und ging dann später gemeinsam mit ihr zum Frühstück. Gestärkt vom Frühstück und mit guter Laune, startete das Tagesprogramm mit einer Führung zu Fuß durch die Altstadt von Krakau – Schwerpunkt: polnisch-deutsche Beziehungen. Wir besichtigten unter anderem den Hauptmarkt, das Rathaus mit Tuchhallen, die Jagiellonen-Universität, die Marienkirche mit dem Altar von Veit Stoß und das Wawelschloss mit Kathedrale. Am besten hat mir an diesem Vormittag der Besuch der Kathedrale gefallen, obwohl ich auf den Besuch zu Beginn wirklich gar keinen Bock hatte – Kathedralen anzuschauen, ich habe das schon bei Familienurlauben gehasst. Doch die Führung war sehr gut, wir lernten viel über die Geschichte Polens und erfuhren, warum vor der Tür der Kathedrale ein Walknochen aufgehängt ist und wieso überall Abbildungen von Totenschädeln und Knochen die Wände schmückten. Im Kopf hängen geblieben ist mir auch, dass es für das „Wawel“ aus Wawelschloss keine richtige deutsche Übersetzung gibt, sondern dass man es frei übersetzt mit „Hügel im Sumpf, auf dem eine Burg steht“.

Doch kommen wir nun zum Nachmittag des Tages. Diesen verbrauchen wir mit der Besichtigung von Kazimierz – dem ehemaligen jüdischen Viertel von Krakau. Auch besuchten wir die Synagoge Remuh und den jüdischen Friedhof aus dem sechzehnten Jahrhundert. Hier sah ich zum ersten Mal in meinem Leben, dass kleine Zettelchen mit Nachrichten und Botschaften, die mit einem Stein beschwert waren, auf Grabsteinen lagen. Sehr überraschend fand ich auch, dass viele Nachnamen der Verstorbenen eindeutig Deutsch klangen. Zum Abendessen gingen wir an diesem Abend in ein Restaurant mit einem schönen Gewölbekeller. Auch hier gab es typisch polnische Küche, zur Vorspeise wieder einmal eine Rotebeetesuppe – sieht schön aus, ist aber überhaupt nicht meins. Zum Glück gab es immer ein paar Jungs aus unserer Gruppe, die dankend das übrig gebliebene Essen annahmen, am liebsten das Fleisch. So waren auch bei diesem Restaurantbesuch am Ende die meisten Teller leer. Im Verlauf des Abends teilte sich die Gruppe dann in kleine Grüppchen auf. Ich landete dann mit meinem Grüppchen am Ufer der Weichsel, wo wir uns unzählige Mückenstiche holten und schöne Gespräche führten. Kurz vor Mitternacht versammelten wir uns dann alle im Foyer des Hotels und stießen gemeinsam auf das zweite Geburtstagskind der Reise an. Müde und mit dem Wissen, dass ich am nächsten Tag wieder früh aufstehen musste, ging ich dann gegen 01:00 Uhr schlafen.

Foto: Victoria Rüttger

Unseren letzten Tag in Krakau begannen wir mit der Besichtigung des ehemaligen Ghettos im Stadtteil „Podgórze“. Wir liefen an den erhalten gebliebene Ghettomauern entlang, besichtigten den Gedenkort Apotheke „Zum Adler“ (von außen) und das Denkmal der „Leeren Stühle“. Besonders faszinierend fand ich die Orte zu besuchen, die auch im Film „Schindlers Liste“ zu sehen sind, wie zum Beispiel die Treppe, unter der sich Danka versteckte, als das Ghetto geräumt werden sollte. Auch fand ich es sehr interessant, dass die Apotheke zum Beispiel Tranquilizern für versteckte Kinder bereitstellte, damit sie sich bei Gestapo-Razzien vollkommen ruhig verhielten. Nach dem Besuch des ehemaligen Ghettos, bekamen wir dann eine Führung in dem Oskar-Schindler-Museum, der ehemaligen Deutschen Emailfabrik. Hier hätte ich gerne noch sehr viel mehr Zeit verbracht. Das Museum war sehr cool aufgebaut und es war auf eine Art und Weise gestaltet, die speziell, aber nach kurzem Nachdenken, wirklich ausgefuchst war. Wir begannen unseren Rundgang in einem Raum, der sich mit Krakau und den Juden der Stadt vor dem Krieg beschäftigte und endete in einem Raum, der die Ausmaße des Kriegs für die „Schindler-Juden“ und die Stadt zeigte. Geschockt hatte uns alle ein Raum, der voll mit Fliesen belegt war, die mit Hakenkreuz verziert waren. Beim Betreten des Raumes waren viele empört darüber, doch unsere Leiterin erklärte uns, dass man damit darstellen wolle, dass wir dieses Regime mit Füßen treten – speziell, aber irgendwie auch cool gemacht. Den Nachmittag, der nach der Führung im Museum noch übrig war, durften wir frei gestalten – die meisten waren in der Stadt bummeln. Am Abend dann versammelten wir uns alle wieder in der Hotellobby und gingen gemeinsam essen im Restaurant Klezmer Hois in Kazimierz, wo wir neben dem Essen einem Klezmer-Konzert lauschen durften. Unsere zwei außerschulischen Mitreisenden aus Köln luden uns dann nach dem Essen ein, mit ihnen auf einem Boot auf der Weichsel ein Getränk zu trinken. So ließen wir dann den Tag und unsere wunderschöne Reise ausklingen. Am nächsten Tag reisten wir dann mit dem Zug wieder zurück nach Jena. Trotz vieler Verspätungen und verpasster Anschlusszüge hatten wir bis zum Schluss gute Laune und unterhielten mit Gesangseinlagen den Bahnhof in Halle (Saale) und den Abbelio-Zug bis Jena. Kurz vor Mitternacht waren wir dann wieder in Jena.

Foto: Victoria Rüttger

Zum Schluss möchte ich mich nochmal bei allen bedanken, die diese Reise möglich gemacht haben, es war eine Reise, die ich nie vergessen werde. Besonders bedanken möchte ich mich bei Herrn Fleischhauer, Herrn Cebulski, Frau Elsner und Frau Handloike, denn es ist nicht selbstverständlich, dass Lehrer mit ihren Schülern in den Ferien zusammen wegfahren und zusätzlich zu ihrem Unterricht noch so eine Fahrt planen. Besonders betonen möchte ich hier an der Stelle eben auch nochmal, dass die Reise keineswegs ein Urlaub war, sondern eine Bildungsreise. Ich weiß zwar für mich, dass ich das Konzentrationslager so bald nicht nochmal besichtigen möchte, doch ich bin sehr dankbar, dass ich es sehen durfte und dass ich auf die Besichtigung vorbereitet wurde. Vor Ort hatte ich immer jemanden, der mir Fragen beantwortete oder einfach nur zuhörte, wenn ich meine Gedanken teilen wollte. Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ist kein Ort, den man mal ebenso nebenbei anschaut, sondern es ist ein Ort, mit dessen Geschichte man sich auseinandersetzen muss und an dem man sich respektvoll verhalten sollte, vor allem als deutsche Staatsbürgerin. Dank unserer hervorragenden Vorbereitungen und der wirklich guten Planung von Herrn Fleischhauer hatte ich nie das Gefühl, irgendwo unvorbereitet oder unsicher hineinzugehen. Ich bin zudem auch sehr dankbar, dass unsere Reisegruppe nur aus Leuten bestand, die sich ernsthaft für die einzelnen Stationen unserer Reise interessierten und man so quasi unter Gleichgesinnten war. Insgesamt habe ich mich sehr wohl gefühlt bei dieser Reise, die ja inhaltlich teilweise schwer zu verarbeiten war, ich habe auf dieser Fahrt zudem auch neue Freundschaften geschlossen und Orte besucht, die ich wohl nie wieder in meinem Leben sehen werde. Tausend Dank nochmal, und das kann ich sicher im Namen aller Beteiligten sagen, an Sie, Herr Fleischhauer, ohne Ihr Engagement, Ihrer Suche nach finanzieller Unterstützung und Ihrer hervorragenden Planung hätte diese Reise wohl nie stattgefunden. Danke, dass ich dabei sein durfte

Bericht von Victoria Rüttger (Abiturjahrgang 2022)


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